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Interview mit Pfarrerin Anne Heimendahl, Krankenhausseelsorgerin im Helios-Klinikum Emil von Behring, zur aktuellen Sterbehilfe-Debatte.

Mein Ende gehört mir - nicht.

Am 13. November wird im Bundestag wiederholt eine Debatte angestoßen, in der es um ein Verbot oder die gesetzliche Regulierung der Beihilfe zum Suizid geht. Die aktive Sterbehilfe, die so genannte Tötung auf Verlangen, wie sie in Belgien, in den Niederlanden und der Schweiz erlaubt ist, ist in Deutschland verboten – und das soll nach dem Willen der meisten Bundestagsabgeordneten auch so bleiben. Schwierig und widersprüchlich ist die Rechtslage beim so genannten „assistierten Suizid“. Danach ist es zum Beispiel erlaubt, einem Angehörigen Medikamente zur Selbsttötung zu beschaffen; man macht sich aber der unterlassenen Hilfeleistung schuldig, wenn man nicht den Notarzt ruft, nachdem die Medikamente eingenommen wurden.

Eine fraktionsübergreifende Gruppe von Abgeordneten hat nun ein Positionspapier vorgelegt, das in diesem Fall Straffreiheit fordert. Dadurch ist eine  – meist sehr emotional geführte – Debatte ausgelöst worden. Einige fordern endlich die Verschärfung der Gesetze und ein Verbot der organisierten Sterbehilfevereine, die es auch in Deutschland gibt. Eine andere Forderung ist, in bestimmten Fällen den assistierten Suizid zu erlauben. Andere wollen, wie in der Schweiz, die organisierte Sterbehilfe auch hier legalisieren. Dafür wirbt zurzeit die Gesellschaft für Humanes Sterben mit großen Plakaten auf den Straßen und in U-Bahnhöfen. „Mein Ende gehört mir.“ steht unter den friedlich lächelnden Gesichtern mit geschlossenen Augen.

Elke Behrends, Öffentlichkeitsbeauftragte des Evangelischen Kirchenkreises Teltow-Zehlendorf, fragte Pfarrerin Anne Heimendahl, Krankenhausseelsorgerin im Helios-Klinikum Emil von Behring:

Frau Heimendahl, was empfinden Sie, wenn Sie diese Plakate auf den Straßen sehen?

Ich finde es absolut unverantwortlich, auf diese Weise für den Suizid zu werben. Diese lächelnden Gesichter suggerieren in meinen Augen: nur so, wenn das Ende mir „gehört“, kann ich sicher sein, dass mein Tod entspannt und leicht ist. Dabei ist er vor allem eines: einsam. Auf dem Plakat sehe ich lauter Individuen. Und frage mich: wo sind denn die liebevollen Angehörigen, die fürsorglichen Freunde, wo ist die Gesellschaft? Unser Sterben und Tod ist doch keine rein individuelle Frage. Es geht darum, welchen Umgang mit Sterben und Tod wir als Gesellschaft für wünschenswert halten.

Angeblich sind über 84% der Bevölkerung dafür, dass Ärzte Schwerstkranken helfen dürfen, sich das Leben zu nehmen. Sind Sie in Ihrer Arbeit schon mit dem Wunsch nach Sterbehilfe konfrontiert worden?

Ja, die Ärzte werden immer mal danach gefragt. Viele Menschen trauen sich das Sterben einfach nicht mehr zu. Da ist viel Angst. Angst vor dem Kontrollverlust, Angst vor Schmerzen und Übelkeit, Angst davor, zu ersticken. Je mehr die Menschen aber um die Möglichkeiten der Schmerztherapie wissen und als Patienten Linderung erfahren, desto geringer werden meist die Ängste. Was allerdings bleibt, ist die Übung des Loslassens und damit Aufgabe der Kontrolle. Wie bei der Geburt sind wir im Alter und auch beim Sterben mehr und mehr auf die einfühlsame und respektvolle Fürsorge anderer angewiesen. Nur leider lässt sich ein Sterbetermin nicht so leicht errechnen wie der Geburtstermin. Das auszuhalten ist schwer. In der Sterbebegleitung merken die Menschen aber, dass sie da reinwachsen können, dass sie stärker sind, als sie denken.

Gab es Situationen, wo Sie daran gezweifelt haben, ob es richtig ist, einem Schwerkranken den Wunsch nach einem schnellen Ende zu verweigern?

Als ich sehr jung war und als Krankenhausseelsorgerin anfing, gab es den Fall einer jungen Frau, die durch eine Nervenkrankheit fast völlig gelähmt war. Das hat mich sehr mitgenommen. Inzwischen  weiß ich, welche Möglichkeiten es gibt, den Menschen ihre Situation zu erleichtern. Die Frage steht für mich nicht mehr im Raum.

Fürchten Sie auch, dass durch eine Legalisierung des ärztlich assistierten Suizids der Druck auf kranke Menschen wächst, ihrem Leben ein Ende zu setzen und der Gesellschaft nicht mehr zur Last zu fallen?

Ja, genau das ist der Punkt. Neulich ein Patient, der erblindet ist: er hatte das Gefühl, von jetzt an völlig nutzlos zu sein. Er hatte ein schlechtes Gewissen, jetzt Hilfe annehmen zu müssen. Er wollte lieber sterben. Da müssen wir uns in unserer leistungsorientierten Gesellschaft doch fragen, wo wir hinwollen. Wenn der legalisierte Suizid erlaubt wird, wächst damit der Druck von innen und von außen, „einfach“ sein Leben zu beenden, wenn man nicht mehr funktioniert.

Wir haben gerade einen Rundgang durch die Palliativstation gemacht. Die Räume machen einen heiteren, freundlichen Eindruck. Der Herr, den wir gerade besucht haben, wirkte sogar fröhlich …

Die meisten denken, die Palliativstation ist die Endstation. Sie wehren sich mit Händen und Füßen, hierher verlegt zu werden. „Schicken sie mich jetzt zum Sterben?“ werden wir dann gefragt. Und wir informieren dann darüber, dass es vor allem um eine gute Unterstützung der Patienten und ihrer Angehörigen in dieser schwierigen Situation geht. Die meisten wissen nicht, dass die Fürsorge hier oft dazu führt, dass die Menschen wieder neue Kraft schöpfen, um dann entweder in ein Hospiz verlegt werden zu können oder mit der notwendigen Versorgung nach Hause zu gehen.

Egal, wie kontrovers die Diskussion geführt wird, einig sind sich alle, dass die Palliativmedizin und die Hospizarbeit gestärkt werden müssen. Was wäre aus Ihrer Sicht – außer der finanziellen Ausstattung – dafür nötig, was wünschen Sie sich?

Ich wünsche mir deutlich autonomere Menschen - dass alle, die von Autonomie und dem Recht als freiem Individuum reden, sich ansehen, wie es hier aussieht, dass sie sich informieren, wie Sie beim Sterben begleitet werden können. Oder auch angeregt werden, wie sie ihren sterbenden Angehörigen als autonomer Persönlichkeit mit unschätzbarem Wert und Würde achten und auf seinem Weg begleiten.

Im Oktober gab es den Hospiz-Tag, den Tag der offenen Tür. Neulich hatten wir eine Schulklasse hier. Im Bali-Kino laufen die Filmtage „Vom Abschied lernen“ - viele Möglichkeiten, sich mit dem Sterbeprozess auseinander zu setzen und Ängste abzubauen.

 

Weitere Links und Artikel zum Thema:

www.tagesspiegel.de/politik/plaedoyer-eines-als-kranken-lebenshilfe-statt-sterbehilfe/10961536.html

Letzte Änderung am: 10.11.2015